You and Me
Essay by Dr. Stefanie Lucci, Art Historian (August 2012)
Essay von Dr. Stefanie Lucci, Kunsthistorikerin (August 2012)
English Summary
In this essay, art historian Dr. Stefanie Lucci reflects on Anna Nwaada Weber’s early body of work, focusing on themes of existence, identity, and inner perception. She describes Weber’s paintings as intimate spaces of introspection, where figures appear veiled, protected, and suspended in an undefined depth that evokes both psychological and cosmic dimensions.
Lucci highlights the artist’s restrained yet expressive use of color and gesture, drawing connections to Francis Bacon while emphasizing Weber’s quieter, more contemplative approach. Vulnerability replaces violence; distortion becomes a means of protection rather than exposure.
The essay further connects Weber’s artistic inquiry to her background in particle physics and her bi-cultural German–Nigerian heritage. These experiences inform a persistent exploration of being, self-location, and transformation. Lucci concludes that Weber’s work opens a reflective space for viewers, inviting empathy and contemplation rather than confrontation.
Original Text (German)
Der folgende Text wird im Original (Deutsch) wiedergegeben.
Anna Nwaada Webers künstlerisches Schaffen ist durchdrungen von der Suche nach dem Sein. Sie malt Menschen in Intimsphären, Menschen die den Blick nach innen richten, in gedehnten Momenten existenzieller Erfahrungen. Dabei konzentriert sich Anna Nwaada Weber meist auf den Spiegel unserer Seele, Gesichter. Vor diesen scheint jedoch ein Schleier zu liegen, der die Gestalten dem direktem Blick entzieht und in die stets dunkle Bildtiefe hinein zieht, sie gleichsam schützt. Die Bildtiefe erstreckt sich in unbestimmbaren Raum, der die kosmische Dimension der Unendlichkeit evoziert.
Die frühen Arbeiten, in denen die Künstlerin warme Farben verwendete, sind nun Werken mit kühlem Kolorit gewichen. Preußisch Blau ist, neben kaltem Rot, gegenwärtig die bevorzugte Farbe der Künstlerin. Mit schnell gesetzten Malgesten arbeitet Anna Nwaada Weber die Gestalten Schicht um Schicht aus der Bildtiefe heraus, was ihnen etwas seltsam schwebendes verleiht. Mit der Verunklärung des Gezeigten, dem kühlem Kolorit sowie der schlierenhaften obersten Malschicht schafft Anna Nwaada Weber eine sanfte Distanz, die dennoch nicht trennt, sondern Identifikation des Betrachters mit der Szene zulässt.
Die Auseinandersetzung mit Existenziellem verbindet Anna Nwaada Weber mit Francis Bacon, dessen Kunst sie inspiriert. Im Gegensatz zu der oftmals schonungslosen Direktheit des Künstlers, nähert sich Anna Nwaada Weber jedoch behutsamer dem Thema. Ihre Gestalten scheinen durch die Verschlierung der Malspuren gleichsam geschützt. Sind die Szenerien Bacons hoch dramatisch und zeigen krude Verletzung, sind es bei Anna Nwaada Weber eher Momente der Stille, in denen sich Menschen ihrer selbst gewahr werden. Verletzung wir hier in Verletzlichkeit überführt und subtil veranschaulicht. So etwa durch präzise gesetzte opake blautonige Balken, die sich über Gesichtspartien legen und diese teilen, durch Verschiebungen, Trennungen, Verdoppelungen der Augen und Verschattungen ganzer Bereiche.
Anna Nwaada Webers fokussierter Blick auf den Themenkreis des Seins, der Identifikation, Verortung und Selbstvergewisserung ist sicherlich auch in der Biografie der Künstlerin begründet. Als promovierte Teilchenphysikerin hat sie sich intensiv mit der Suche nach dem verschwindend kleinen Higgs-Teilchen beschäftigt, das als letzter unbekannter Baustein der Materie galt. Dieses Teilchen, nach dem seit mehr als 40 Jahren und mit einem immensen Aufwand geforscht wurde, ist im Juli endlich gefunden worden. Es könnte die größte Lücke im Standardmodell der Teilchenphysik schließen. Mit ihm ließe sich erklären, warum sich Galaxien und Sterne zusammenballen, warum es Planeten gibt, letztlich warum es den Menschen gibt, weswegen das Higgs-Teilchen auch „Gottesteilchen“ genannt wird.
Auch Anna Nwaada Webers nigerianische Herkunft trägt zur ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Sein und dem Ich bei. Als hier „zu dunkel“ und dort „zu hell“ ist für sie die Identitätsfrage schon früh zu einer Lebensfrage geworden. Vielleicht zieht sich aus deshalb die Dichotomie Hell-Dunkel fortlaufend durch ihr Werk. Ihre afrikanischen Wurzeln zeigen sich ebenso in der für sie charakteristischen reduzierten Formensprache.
Einen direkten Rückgriff auf den Kontinent ihres Vaters zeigen Anna Nwaada Webers jüngste Werke, bei denen sie afrikanische Holzskulpturen, die stehlenartigen Menschen darstellen, verwendet. Auf deren Sockeln bringt sie Modellfiguren an, wie man sie aus Architekturmodellen und Modelleisenbahnszenarien kennt. Auch in dieser Werkgruppe erkundet sie Identität und Selbstverständnis. Jedoch verleiht sie den Objekten eine irritierende Präsenz, indem sie überraschenderweise die Gewichtung verschiebt: die afrikanischen Figuren sind weiß gefasst, die kleinen Menschen auf den Sockeln schwarz. Damit transformiert sie ihre Fragestellung auch zu unserer.
Anna Nwaada Webers Kunst ist feinsinnig. Sie findet den unmittelbaren Weg zu uns, den Betrachtern. Ihre Malereien und Objekte konfrontieren uns mit Fragen, die uns alle betreffen und begleiten. Anna Nwaada Webers tiefgründige künstlerische Untersuchung der menschlichen Existenz und ihrer Zusammenhänge vollzieht sich dabei empathisch und einladend. So wie sich die Bildräume ihrer Malereien öffnen, öffnet sich für uns mittels ihrer Kunst Raum, um über uns selbst zu reflektieren.
Dr. Stefanie Lucci, August 2012